„Was soll das bedeuten schon wieder eine Drei?“, schrie Mutter ihn an.
„Das
sind völlig normale Noten“, versuchte sich der Junge zu
rechtfertigen.
„Normal?
Durchschnittlich, willst du das damit sagen? Du hast keine
durchschnittlichen Noten zu haben! Wenn du später einmal Medizin
studieren willst, hast du gefälligst
Einsen zu schreiben!“
„Ich will aber nicht Medizin studieren! Ich will Musik machen! Warum versteht ihr das nicht?“, wehrte er sich verzweifelt.
Einsen zu schreiben!“
„Ich will aber nicht Medizin studieren! Ich will Musik machen! Warum versteht ihr das nicht?“, wehrte er sich verzweifelt.
„Musik.
Pah. Die Welt hat schon genug Quacksalber, die meinen Musiker zu
sein. Dein Vater ist Professor der Nanotechnologie, ich eine
angesehene Ärztin und deine Schwester studiert Jura. Willst deiner
Familie Schande machen indem du ein billiger Musiker wirst? Das ist
ohnehin kein Beruf der Bestand hat. Am Ende landest du nur auf der
Straße. Ich werde dich dann ganz bestimmt nicht mehr aufnehmen. Wie
stünden wir denn dann da, mit solch einem Familienmitglied?“
„Aber
Mama...“
„Kein
Aber! Geh auf dein Zimmer und lerne! Sofort! So ein Zeugnis bringst
du mir nicht mehr ins Haus!“, befahl seine Mutter. Mit hängenden
Schultern und zerschlagenem Selbstbewusstsein stieg er die
Wendeltreppe nach oben. Medizin. Wer wollte schon Medizin studieren?
Er sicher nicht. Lernen sollte er. Tag ein Tag aus nichts als lernen.
Und das tat er. Seine Mutter hatte ja auch nichts besseres zu tun,
als ihn regelmäßig dabei zu kontrollieren. Aber was nutzte es zu
lernen, wenn er es einfach nicht verstand? Was hatte es für einen
Sinn, ihn zu zwingen, wenn er irgendwann einfach nicht mehr
aufnahmefähig war? Doch das verstanden seine Eltern nicht. Und seine
Schwester war ihm auch keine große Hilfe. Zog ihn nur selbst immer
mit den schlechten Noten auf und ging ihn sogar verpetzen, wenn er
sich mal nicht traute eine Note zu gestehen. Blöde Kuh!
Als er
sein Zimmer betrat, traf ihn fast der Schlag. Die Ecke war leer! Die
Ecke mit dem Gitarrenständer, seine Gitarre war weg! Hektisch und
vollkommen außer sich suchte er das ganze Zimmer ab. Im Schrank,
unterm Bett, in allen Ecken und Winkeln, überall wo die Gitarre gar
nicht sein konnte. Sie war nicht da! Wütend stapfte er in den Gang.
„Mama!
Wo ist meine Gitarre?“, schrie er voller Zorn durch das Haus.
„Die
bekommst du wieder, wenn deine Noten besser sind“, gab sie
leichthin zurück.
Und
mit einem Mal fiel alle Wut von ihm ab. Alles was zurück blieb, war
Verzweiflung. Verzweiflung, Hilflosigkeit und ein Gefühl von
Einsamkeit. Seine Musik war alles was ihm blieb, wenn er in seinem
Zimmer eingesperrt wurde, um zu lernen. Sie war alles was er hatte.
Freunde treffen, durfte er nicht. Er hatte kaum welche, genau
deswegen. Was sollte er nun tun ohne seine Gitarre? Erschöpft und
entkräftet sank er auf die Knie, stützte sich an der Wand ab. Was
konnte er tun?
Lange
Zeit hatte er in seinem Bett gelegen und nachgedacht. Über seine
Eltern, seine Schwester, das Lernen, die Noten, die Musik, die
anderen in der Schule. Über sehr vieles. Er fühlte sich verlassen.
Niemand war da um ihm zu helfen. Seine Familie war es, die ihn
tyrannisierte. Wer sollte ihm also auch helfen? Es war bereits
dunkel, als er seinen Entschluss fasste. Er zog die wärmsten
Klamotten aus seinem Schrank und stopfte den Rest seines
Süßigkeitenvorrats in die Taschen. Dann öffnete er das Fenster.
Ein Sprung aus dem ersten Stock war riskant, aber sicherlich nicht
allzu gefährlich. Er wagte es. Mit dem Aufprall wünschte er sich,
es nicht getan zu haben. Sein Fuß knickte schmerzhaft zur Seite und
er landete hart auf dem Boden. Der Knöchel schmerzte höllisch und
als er versuchte aufzustehen, fiel er beinahe wieder. Doch das alles
war ihm egal. Er wollte weg! Einfach ganz weit weg! Wenigstens ein
paar Tage frei sein.
Von
Schmerz gepeinigt, humpelte durch den Garten, zum Hintertor, hinaus
in die Dunkelheit. Er kam nur langsam voran, doch er tat es. Und das
Gefühl von Triumph und Freiheit war stärker, als der Schmerz in
seinem Fuß. Lange schon war er nicht mehr außer Haus gewesen. So
richtig. Einzig der Schulweg war ihm erlaubt. Den Rest des Tages
musste er drinnen bleiben, lernen. So genoss er die frische Abendluft
und das Rauschen des Windes. Manch einem mochte das so
selbstverständlich vorkommen, wie das morgendliche Erwachen, doch
für ihn war es besonders. Zufrieden humpelte er in Richtung Fluss.
Er wollte dem Wasser einmal beim Fließen zusehen. Vielleicht würde
es ihn zu einem neuen Song inspirieren, den er umsetzen konnte,
sobald er seine Gitarre wieder bekam. Irgendwann mussten sie sie ihm
schließlich zurück geben. Und wenn er dafür jegliche Arbeit
verweigerte.
Gedankenverloren
ging der Junge seines Weges. Von Weitem konnte er schon den Strom des
Wassers hören. Und er eilte darauf zu. So eine Gelegenheit und diese
Ruhe würde er so schnell nicht wieder haben. Das musste er genießen!
Dann
hörte er noch ein anderes Geräusch. Es durchbrach die Stille der
Nacht. So abrupt. Als er sich dann umdrehte, war es bereits zu spät.
Grelles Scheinwerferlicht blendete ihn. Das Auto hupte noch ein paar
Mal. Die Bremsen quietschten und qualmten fast schon. Das Geräusch
war mehr als ohrenbetäubend. Ihm war als würde sein Trommelfell
platzen. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Er hielt den Atem an. Und
er wusste es war vorbei. Denn mit seinem schmerzenden Fuß kam er
nicht mehr fort. Er konnte nur noch mit ansehen, wie die Stoßstange
des PKW auf ihn zuraste.
Das ist ja eigentlich kein Selbstmord, oder? Das ist Ich-will-weg-und-die-große-böse-Welt-vereitelt-mir-den-Plan-weil-ich-Pech-habe. Na ja, ich finde es jedenfalls spannend. Der Schreibstil passt gut dazu. Außerdem lässt du Rätsel offen, ohne das man es merkt. Die Frage ist nur: Ist es besser, dass er daraus ist oder hätte er lieber in Gefangenschaft bleibensollen? ISt ein gutes, kurzes Leben besser, als ein schlechtes, langes? Stirbt er oder rettet ihm die verhasste Medizin das Leben? Wie schaffst du es so überzeugt eine andere Meinung zu vertreten? Gut!
AntwortenLöschenDa hast du vollkommen Recht, aber die Geschichte gefiel mir und hat zumindest ansatzweise ins Schema gepasst. Außerdem ging es mir bei der Suizid-Reihe nicht um die Tat selbst, sondern um die Gründe die dazu führen können.
LöschenAber ich finde es interessant zu lesen, was für Gedankengänge die Geschichte auslöst.