Ich weiss noch genau, wie die aus der Achten mich verprügelt hatten. Ich erinnere mich als wär's gestern gewesen. Ich sei ein Angeber, hatten sie gesagt, ein arrogantes Schwein. Haben mich geschlagen, in den Magen, ins Gesicht. Bis ich gefallen bin. Ich lag am Boden, habe mich vor Schmerzen gekrümmt. Und immer weiter haben sie mich beschimpft. Ich wolle mich nur bei den Lehrern einschleimen. Und die Mädels beeindrucken, haben sie gesagt.
Dabei waren die Mädels gar nicht beeindruckt von mir. Die wollten nur meine Hausaufgaben abschreiben und in Tests abgucken. Aber das interessierte diese Kerle nicht. Getreten haben sie mich. Immer wieder. Immer fester. Bis ich Blut spuckte. Erst als ein Lehrer um die Ecke kam und sie wutentbrannt anschrie, ließen sie von mir ab. Mit der Polizei hatte er ihnen gedroht, nicht mit Nachsitzen. Und sie liefen, gerannt sind sie. Hatten aber noch genug Zeit mir ein weiteres Mal zuzurufen, was für ein Schleimer und Liebling der Lehrer ich sei.
Nun, die Polizei hatte sich wahrhaftig um die Kerle gekümmert. Doch weil sie alle noch nicht volljährig waren, hatte man ihnen lediglich ein paar Sozialstunden aufgebrummt. Einer von ihnen, der schon öfter auffällig wurde, wurde zu einer therapeutischen Behandlung gezwungen. Doch das war alles. Schon eine Woche später wurde ich wieder mit Müll beworfen in den Pausen. Und es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich mit Schmerzen und einer blutigen Nase - das ist noch das geringste Elend - nach Hause ging.
Erinnerungen die mich nie los lassen werden.
Jetzt, zwei Jahre später, sind die Kerle in der Zehnten, Abschlussjahr. Es sind gerade Prüfungen. Ich kann sie fast vor mir sehen, wie sie verzweifeln, versagen. Sie werden alles andere als einen guten Abschluss schreiben. Hätten sie mich nur nicht immer geschlagen und beleidigt. Hätten sie mich um Hilfe gebeten, um Nachhilfeunterricht. Sie könnten einen Einserschnitt schaffen. Aber sie haben sich für den Weg der Gewalt entschieden. Und ich mich für den Weg der Rache.
Ich stoße die Tür zur Sporthalle auf. Einige blicken auf, sehen mich entsetzt an. Andere sind so in ihre Prüfung vertieft, dass sie mich gar nicht bemerkt haben. Die Lehrer kommen sofort auf mich zu, wollen mich raus scheuchen. Doch ich gehe an ihnen vorbei. Ich lasse meinen Blick durch die Reihen schweifen. Solange bis ich einen von ihnen finde. Schon jetzt fühle ich die Genugtuung in mir aufsteigen. Ich gehe auf ihn zu. Ein Lehrer kommt mir hinter her, packt mich am Arm, flüstert, ich solle verschwinden, es seien Prüfungen und was mir einfiele. Ich reiße mich los, gehe weiter. Ich kann ihn sitzen sehen, dort vorn, direkt am Mittelgang. Kann ihn schwitzen sehen über seinen Aufgaben. Gleich würde er nicht mehr schwitzen.
Direkt vor ihm bleibe ich stehen. Er bemerkt mich nicht. Doch das macht nichts. Gleich würde er nichts anderes mehr sehen können, als mich. Ich greife in meine Tasche. Richte die Waffe auf ihn und flüstere seinen Namen. Ein entsetztes Raunen derer, die mich bemerkten, geht durch die Halle. Ich sage seinen Namen noch einmal, lauter. Er blickt mich an, genervt. Dann erschrocken. Ängstlich. Seine Mimik entgleist ihm. Er springt auf. Den Lauf der Waffe immer auf sein Gesicht gerichtet.
"Du...", stottert er.
"Ja, ich", antworte ich und drücke ab.
Ein lauter Knall hallt im Raum wieder. Auf ihn folgend Geschrei. Dann ist es ruhig. Alle sitzen wie angewurzelt da. Starren mich an. Ein paar wagen es aufzustehen, fortzulaufen. Ich ignoriere sie. Ich halte weiter Ausschau. Die anderen drei sitzen auf die einzelnen Blöcke verteilt. Ich gehe auf den zu, der mir am nächsten sitzt. Die Waffe auf ihn gerichtet. Er hält sich die Hände vor's Gesicht, als könnten sie ihn schützen. Doch auch er sitzt kurz darauf in einem schimmernden roten Kreis.
In der Halle bricht Panik aus. Auf einmal erheben sich und drängen zum einzigen Ausgang. Auch die beiden anderen Kerle. Ich fange sie in der Menge ab, drücke ihnen einem nach dem anderen die Pistole an die Schläfen und lasse ihren Text sagen. Ich will eine Entschuldigung. Es ist mir egal wie ernst sie gemeint ist. Ich will nur ihre Angst sehen, bevor eine Kugel ihr unnützes Hirn durchdringt und sie rote Tränen weinen lässt. Während die beiden leblos zu Boden sinken, gehe ich auf den Hinterausgang zu. Der führt jedoch nicht nach draußen, sondern zum Wartungsschacht. Und der führt unter anderem aufs Dach. Zwar ist diese Tür immer abgeschlossen, doch das soll mich nicht hindern. Mit ein paar Schüssen auf das Schloss, geht die Tür schließlich ganz von selbst auf.
Beachten kann und will mich im Moment niemand. Die Lehrer sind damit beschäftigt, die panischen Massen sicher durch die große Tür nach draußen zu schleusen. Einer ruft die Polizei. Doch auch das ist mir egal. Ich steige die schmale Treppe nach oben, die mich wenig später zum Dach führt. Dort oben weht ein angenehmer Herbstwind. War es nicht auch Herbst an jenem Tag? Ich weiss noch wie ich im feuchten Laub lag und um Gnade winselte. Doch sie hatten mich ignoriert. Heute konnten sie mich nicht ignorieren. Nie wieder können sie das. Nie wieder können sie mir weh tun. Unten im Hof rollt ein Polizeiwagen ein, begleiten von lauten Sirenengeschrei und zwei weiteren Wägen. Die Polizisten steigen aus, erkundigen sich bei einer Lehrerin nach meinem derzeitigen Aufenthalt, die zeigt jedoch nur mit zitterndem Arm zu mir aufs Dach.
"Dein Treiben hat nun ein Ende! Komm da runter! Wenn du dich selbst stellst, kann deine Strafe noch gemildert werden", sagen sie zu mir, schreien es durch ein Megafon.
"Heute haben andere ihre gerechte Strafe erhalten", sage ich mit einem Lächeln im Gesicht und lasse mich fallen. Alles was ich noch höre, sind entsetzte Rufe, Schreie, Warnungen, die sich zu einem Brei aus Lauten vermischen. Gleich würde meine fleischliche Hülle auf dem Asphalt bersten und sich verteilen. Doch meine Seele wird an einen besseren Ort kehren. Und ich spüre einen stechenden Schmerz, der meine Glieder durch fährt, mein Mark erschüttert und meine Sicht wird weiß.
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