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Niemand kennt dich



Du legst den Stift beiseite und betrachtest die Liste. Hast du etwas vergessen? Eher nicht. Zufrieden lehnst du dich im Stuhl zurück und denkst über dein Vorhaben nach. Während du Alles gedanklich noch mal durchgehst, betrachtest du das Muster an der Decke. Geschwungene Linien, die aussehen wie Wellen auf dem Wasser, wenn etwas hinein fällt. Kreisförmig drängen sie sich um die Deckenlampe. Du weißt noch genau wie du damals den Pinsel genommen hattest um sie da hinzumalen. Es sah aus, als würde jemand untergehen und nur noch der Haarschopf schaute aus dem Wasser. Ein leuchtender gelblicher Schopf.

Die Liste ist komplett, also überprüfst du noch mal den Grundrissplan des Schulgebäudes. Du fährst mit dem Finger den Weg nach, den gehen wirst. Zuvor hast du genau überprüft wer wann wo ist. Die entsprechenden Räume hast du markiert. Es müsste alles klappen, wenn nicht irgendetwas Ungeplantes dazwischen kommt. Vorsichtig öffnest du die Schublade deines Schreibtisches und betrachtest deren Inhalt. Sie sieht so friedlich aus. Und in deiner Hand fühlt sie sich so gut an. Du fühlst dich mächtig, wenn du die Pistole in die Hand nimmst. Als könnte niemand dir etwas anhaben.

Am nächsten Morgen packst du wie gewohnt deine Tasche. Die Liste mit den Namen steckst du zur Vorsicht in die Jackentasche, wäre ja schade wenn du jemanden vergisst. Noch mal loszuziehen, wäre verdammt zeitaufwendig. Die Pistole verstaust du sicher im Rucksack, gesichert, nicht dass sie aus Versehen losgeht. Dann ist es soweit. Raus aus der Tür hinaus auf die Straße. Es ist ein kühler Herbstmorgen, das Laub fliegt von den Bäumen auf den Weg, gerät unter deine Schuhe. Es ist gar nicht weit bis zur Schule und ab da muss jeder Schritt genauestens überlegt sein. Mit einem Mal fährst du erschrocken herum, machst einen Satz zurück. Der Köter des Nachbarn hat dich schon wieder angebellt. Oft schon hast du ihnen gesagt, sie sollten das Vieh morgens nicht rauslassen. Dem Köter schnell ein vernichtender Blick zugeworfen und du setzt deinen Weg fort.

Mit Bedacht öffnest du die Tür des Haupteingangs. Du bist absichtlich etwas zu spät gekommen, damit die Gänge verlassen und alle im Unterricht sind. Du siehst dich sorgfältig um und ziehst dann die Liste aus der Jackentasche. Heute Morgen hast du schnell die Räume hinter die jeweiligen Namen geschrieben. Du hast dir vorgenommen im obersten Stock im hintersten Zimmer zu beginnen und dich dann Richtung Ausgang vorzuarbeiten, so würdest am schnellsten abhauen können, wenn alles getan ist. Kurz überprüfst du noch mal die Räume, die Lage aller Zimmer ist dir gut bekannt. Dann machst du dich auf den Weg nach oben. Die Tasche hast du bereits abgenommen und greifst unterwegs schon nach der Waffe, willst sie aber erst herausnehmen, wenn du die erste Tür geöffnet hast.

Und dann passiert es, der unerwartete Zwischenfall. Ein Mädchen erscheint vor dir, sie kommt gerade aus der Mädchentoilette. Als sie dich bemerkt, bleibt sie stehen. Sie sagt deinen Namen, fragt was du in der Tasche hast. Du antwortest nicht. Mist! Was sollst du jetzt machen? Sie steht nicht auf der Liste. Das könnte alles gefährden. Langsam kommt sie näher, sagt wieder und wieder deinen Namen. Doch du hörst ihn nur wie in Trance. Wie durch einen Nebelschleier erscheint dir die Welt gerade zu verblassen. Du bist verzweifelt, weißt nicht was du tun sollst. Umbringen willst du sie auch nicht, sie hat dir nichts getan. Und unnötige Aufmerksamkeit könnte es auch erregen.

Dir wird warm. Du spürst etwas, das du nicht einordnen kannst. Ein leichter Druck. Aber es fühlt sich gut an. Du schlägst die Augen wieder auf und musst feststellen, dass sie näher gekommen ist, als du erwartet hättest. Ihr Kopf lehnt an deiner Brust und ihre Arme hat sie um dich geschlungen. Vorsichtig sieht sie zu dir auf. Sie errötet und tritt sofort einen Schritt zurück, als eure Blicke sich treffen. Sie entschuldigt sich, ringt nach Worten, weiß nicht was sie sagen soll. Dann schließlich sieht sie dich erneut an. "Ich mag dich. Ich mag dich unheimlich gern", sagt sie schüchtern. Dann setzt sie sich in Bewegung. Sie geht auf dich zu. Bleibt stehen. Stellt sich auf die Zehenspitzen. Drückt dir sanft einen Kuss auf die Wange. Dann geht sie in ihre Klasse zurück, dreht sich aber noch mal nach dir um, schenkt dir ein zaghaftes Lächeln.

Langsam entgleitet die Pistole deinem Griff. Du  hattest sie die ganze Zeit in der Hand. Doch jetzt. Mit einem Mal erscheint dir dein Vorhaben falsch. Du lässt die Pistole ganz nach unten in deine Tasche sinken, schließt den Reißverschluss und schulterst die Tasche. Dann gehst du zu deiner eigenen Klasse. Als du die Tür öffnest, richten sich alle Blicke auf dich. Du senkst den Blick. "Du bist spät", ermahnt die Lehrerin dich. Du entschuldigst dich schwach und schleichst zu deinem Tisch. Später würdest du mit ihr reden. Ihr danken.


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